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klammer-tag Auswertung, Factsheet, Dezember 2019

Wir uns haben uns die Häufigkeit des Alkohol- und Drogenkonsums unter ausserfamiliär untergebrachten Jugendlichen betrachtet. Nun legen wir den Fokus auf ihre Eltern.

Hintergrund & Methode

Wie viele Kinder und Jugendliche durch elterliche Sucht- und andere psychische Erkrankungen belastet sind, kann nur geschätzt werden. Die Schätzungen schwanken meist zwischen 10% und 20%. Sie variieren aufgrund der jeweils zugrunde liegenden Definitionen – ob z.B. eine gesicherte Diagnose vorzuliegen hat oder ob ein Elternteil sich in Behandlung befindet oder nicht – und der Form der Erhebungen. Einigkeit herrscht hingegen, dass von einer beträchtlichen Dunkelziffer auszugehen ist, und dass in besonders vulnerablen Populationen, zu welcher auch die jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe gehören, mit noch höheren Zahlen zu rechnen ist.

Ebenso unbestritten ist, dass eine elterliche Suchterkrankung für die gesunde Entwicklung eines Kindes besonders folgenschwer sein kann. In der Regel treten die kindlichen Bedürfnisse hinter diejenigen der Eltern zurück, oft ist die soziale Teilhabe und die Erziehungsfähigkeit der Eltern beeinträchtigt. Neben diesem Vernachlässigungsrisiko für die Kinder wurde zudem ein gehäuftes Auftreten häuslicher Gewalt und ein erhöhtes direktes Misshandlungsrisiko für die Kinder mehrfach belegt.

Vor diesem Hintergrund blicken wir in die EQUALS-Daten und stellen zwei Fragen: 1. Wie häufig sind Suchterkrankungen unter den Eltern von ausserfamiliär untergebrachten Kindern? 2. Lassen sich zwischen Kindern von suchtbelasteten Eltern und Kinder von Eltern mit/ ohne anderen psychischen Auffälligkeiten Unterschiede in Bezug auf belastende Lebensereignisse feststellen?

Zur Beantwortung der Fragen konnten die Daten von 771 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen analysiert werden, welche die entsprechenden fremdanamnestischen Informationen in EQUALS enthielten. Die jungen Menschen waren zwischen 3 und 35 Jahre alt (Ø 15.6 Jahre), als sie im Verlauf der letzten acht Jahre in einer von 29 unterschiedlichen Institutionen aus der Schweiz erfasst worden waren.

Ergebnisse

  1. Mindestens jede/r Fünfte scheint von einer elterlichen Suchterkrankung betroffen: Bei 17% wurde diese bei einem Elternteil angegeben, bei 5% bei beiden Eltern. Bei 13% wurde eine andere psychiatrische Auffälligkeit dokumentiert und nur bei 23% waren den Bezugspersonen keine elterlichen Auffälligkeiten bekannt. Bei den übrigen 41% wurde bei der Datenerfassung die Option «unbekannt» gewählt – wobei der zeitliche Abstand zwischen Eintritt in die Institution und der Zeitpunkt der Datenerfassung keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Häufigkeit dieser Wahl hatte.
  2. Die grosse Mehrheit der erfassten belasteten Lebensereignisse, insbesondere diejenigen, welche Beeinträchtigungen der familiären sozialen Teilhabe sowie ein Vernachlässigungs- und Missbrauchsrisiko für die Kinder beschreiben, waren unter den suchtbelasteten Eltern am häufigsten. Mit Ausnahme der Kategorien Mobbing und Migration steigen die Häufigkeiten von der Gruppe mit keiner elterlichen Auffälligkeit, über diejenigen mit einer anderen elterlichen Auffälligkeit zu denjenigen mit elterlichen Suchterkrankungen treppenartig an. Sie gipfeln, wenn beide Eltern betroffen sind. Am Beispiel der Vernachlässigung wird es besonders anschaulich: 18% - 35% - 63% - 88%. Diese Gruppenunterschiede sind statistisch signifikant. Die kompletten und visualisierten Zahlen zu allen Kategorien finden sie hier.

Abschliessende Bemerkungen

Unsere Ergebnisse replizieren die in vielen anderen Studien gefundenen besonders gravierenden Auswirkungen von elterlichen Suchterkrankungen auf deren Kinder.

Was die gefundenen Prävalenzen elterlicher Suchterkrankungen unter ausserfamiliär untergebrachten jungen Menschen betrifft, so muss hingegen festgehalten werden, dass die Häufigkeiten vermutlich bisher unterschätzt worden sind. Wenn wir davon ausgehen, dass sich unter denjenigen Eltern, wo wir nichts wissen (Option «unbekannt») auch noch einige Betroffenen befinden, so dürfte die Rate wahrscheinlich irgendwo zwischen 25 und 40% liegen.

Mit dem grossen Anteil von 41% mit «unbekannt», der exemplarisch für die grosse anzunehmende Dunkelziffer bezüglich elterlicher Auffälligkeiten steht, liegt abschliessend ein weiteres zentrales Ergebnis vor. Wissen wir bei so vielen wirklich so wenig?

Grundsätzlich könnte dieser grosse Anteil verschiedene und mehrere Erklärungen gleichzeitig haben. So könnte beispielsweise «unbekannt» gewählt worden sein, weil…

  • es Eltern gibt, die den Behörden und Institutionen tatsächlich vollkommen unbekannt sind.
  • sich einige Eltern jedweder Zusammenarbeit entziehen.
  • Fach- und Bezugspersonen eher vorsichtig sind, eine elterliche Suchterkrankung zu dokumentieren.
  • vielleicht eine gewisse Unsicherheit darüber besteht, was eine «Suchterkrankung» ist.
  • die Informationen über die Eltern erst im Verlauf der Unterbringung bekannt werden (die Ergebnisse widersprechen hingegen dieser Vermutung: es gibt keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der bisherigen Aufenthaltsdauer und der Gewissheit der Angaben).
  • einige Bezugspersonen in den Institutionen nicht über derart zentrale anamnestische Informationen versorgt werden.
  • einzelne Bezugspersonen vorhandene Informationen nicht zur Kenntnis genommen haben.

Nicht zuletzt aufgrund der gezeigten immensen Bedeutung der elterlichen Suchterkrankung auf die früheren Lebensbedingungen der Kinder – welche in der Praxis in der Folge auch gezielt beachtet werden sollten! – würden beim Zutreffen von diesen Punkten klare und mit aufsteigender Reihenfolge dringlichere Verbesserungsbedarfe deutlich.

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